JBL L75ms (Test)

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Seit den 1950er-Jahren baut JBL Lautsprecher – und noch heute besinnt sich das US-Unternehmen auf seine Tradition. So auch beim Musiksystem L75ms im Retro-Look, in dem jedoch aktuelle Technik steckt.

Vintage und Retro sollte man nicht verwechseln. Während Vintage das alte Original ist, bildet Retro es lediglich nach, ist aber neu. Das trifft im Kern auch auf JBLs Kreation L75ms zu, denn die Klangbox erinnert im Design an die Tonmöbel der 1960er-Jahre. Dass Retro in Mode ist, wissen HiFi-Enthusiasten nicht erst seit heute, schon einige Jahre sind etwa Plattenspieler wieder schwer angesagt und Hersteller erweitern ihr Portfolio aus meist schnörkellos-modern anmutenden Tongeräten im „altmodischen“ Look.

Kultiger Quadrexschaumstoff
Das Design der JBL-Box setzt dicke Retro-Ausrufezeichen mit der trapezförmigen Bauform samt geschwungener Frontseite und einem Lautsprechergrill aus schwarzem Quadratmuster, JBL spricht von „Quadrexschaumstoff“. Wer die Chassis lieber sehen möchte, der kann den magnetisch haftenden Frontgrill abnehmen. Klanglich ist der Schaumstoff nur marginal hörbar. Der Korpus erinnert zudem ein bisschen an Horn-Konstruktionen und ist sauber mit einem Walnuss-Holzfurnier überzogen. Klopft man drauf, klingt es schön dumpf und trocken, so muss es sein.

JBL vertreibt die Klangbox L75ms als „Integrated Music System“, das Gerät soll also auch unabhängig vom Fernseher aufspielen und als Ersatz für die HiFi-Anlage fungieren. Im Heimkino-Umfeld stecken wir das L75ms in die Schublade „Sounddeck“, auch wenn die Stellfläche mit 79 Zentimetern in der Breite (hinten nur ca. 60 Zentimeter) und knapp 29 Zentimetern Tiefe nicht üppig ausfällt – und wahrscheinlich von JBL auch gar nicht als Stellplatz gedacht ist, zumal ein TV-Standfuß mit dem Bedienpanel auf der Oberseite der Box kollidieren könnte. Mit 21,5 Zentimetern Höhe passt die Box nicht direkt vor einen Fernseher, sie würde ins Bild ragen. Eine Wandmontage ist ebenfalls nicht vorgesehen, so dass die Positionierung auf einem Tisch oder Lowboard unter dem TV am sinnvollsten erscheint (siehe Bild).

Die leichte und mittelgroße Fernbedienung steuert alle Funktionen des JBL-Speakers. Das Gehäuse sieht zwar nach Aluminium aus, fühlt sich aber wie Plastik an.

Aufgedeckt: Unter dem abnehmbaren, magnetisch haftenden Frontgrill verbergen sich 5 Treiber und zwei Bassreflex-Öffnungen für die Stereo-Wiedergabe. Die beiden Hochtöner besitzen kleine Waveguides, doch auch die komplette Bauform des Gehäuses erinnert an Hornkonstruktionen.

Moderne Technik
Nimmt man die Schaumstoff-Front des Stereo-Systems ab, kommen fünf Treiber zum Vorschein. Um den zentralen 4 Zoll großen Mitteltöner sind zwei 5,25 Zoll große Tieftöner mit weißer Membran angeordnet. Unterstützung im Tiefton erfahren die beiden durch zwei Bassreflex-Öffnungen. Zwei 1-Zoll-Hochtöner mit Titankalotten und kleinen Waveguides übernehmen den Hochton. Jeder der fünf Treiber besitzt einen eigenen Verstärker und ist via DSP abgestimmt. Als Gesamtleistung gibt JBL 350 Watt an. Die internen DA-Wandler verarbeiten Quellen bis 32 Bit / 192 kHz. Konstruiert wurde das Ganze im HARMAN Center of Acoustics Excellence (siehe Kasten).

Das rückseitige Anschlussfeld bietet zu unserer Überraschung einen Phono-Anschluss, was für ein Retro-HiFi-System aber nur konsequent ist. Die integrierte Phonostufe (man benötigt also keinen zusätzlichen Phonoverstärker zum Plattenspieler) arbeitet allerdings nur mit MM-Tonabnehmern zusammen; MC-Systeme werden nicht unterstützt.

Ton vom Fernseher oder von anderen Gerätschaften empfängt die Box digital über HDMI ARC und analog über 3,5-mm-Klinke. Optional darf man einen Subwoofer anschließen. Zu einem kompletten Surround-System mit separaten Rear- und Höhenboxen lässt sich die L75ms allerdings nicht ausbauen. Toslink- und Koax-Eingänge fehlen, was eigentlich jedes HiFi-System besitzen sollte. Praktisch und selten ist der „Bass Contour“-Schalter, der den Tiefton um 3 Dezibel absenkt. Das kann nützlich sein, wenn die Box nahe an Wänden oder in einem Regal bzw. Schrank steht.

Das Audio-Entwicklungszentrum von Harman in Los Angeles, Kalifornien, wurde 1953 von Sidney Harman gegründet. Es ist der Ort, an dem heute die zu den Besten zählenden Audioingenieure in der Forschung und Entwicklung arbeiten und an dem aktuelle und zukünftige Innovationen von Marken wie JBL, Harman Kardon, AKG, Revel und Mark Levinson vorangetrieben werden.

Im Stadtteil Northridge teilen sich die verschiedenen Geschäftsbereiche von Harman eine Einrichtung, die unter anderem vier schalltote Kammern umfasst, welche jeweils für Lautsprecher oder Wandler unterschiedlicher Größe ausgelegt sind. Dazu kommen Hörräume, zahlreiche Labore für die unterschiedlichen Anforderungen jeder Geschäftseinheit, ein spezielles Zuverlässigkeitslabor, eine Leistungsprüfkammer und das John Eargle Theatre, eine verkleinerte Version des weltbekannten Academy Theatre.

Hier werden die in den Bereichen „Sound“ nominierten Kandidaten für die Oscars beurteilt. Die gesamte Einrichtung und ihre Umgebung ist so angelegt, dass sie vielfältige Kreativität ermöglicht und dabei gegenseitigen Austausch und Befruchtung unterstützt.

Seit Jahren führt Harman für alle seine Lautsprecher in einem doppelblinden Multichannel Listening Lab (MLL) Hörtests durch. Mit seiner langjährigen Erfahrung in Forschung und Klangentwicklung verkörpert das Harman Center of Acoustic Excellence den wissenschaftlich geleiteten Ansatz zur Entwicklung der am besten klingenden Audiogeräte.

Diese Verschmelzung von Erfahrung und Knowhow bildet die Grundlage für die proprietären und patentierten Technologien, die seit mehr als 75 Jahren hochwertigen Sound auf Bühnen, in Wohnzimmer, in Aufnahmestudios und in Kinos bringen.

Zur Klangoptimierung von Lautsprechern stehen im Entwicklungszentrum von Harman unter anderem vier schalltote Kammern zu Verfügung.

Das Streaming gelingt über Ethernet und WiFi (2,4G/5G), bei Letzterem erfolgt die Einrichtung über die Google Home App. An Streaming-Protokollen werden AirPlay 2, Google Chromecast und Bluetooth (4.2) unterstützt. Auf Kommandos per Sprache versteht sich die Box hingegen nicht.

Die Steuerung kann über das kleine Panel mit drei Tasten (Volume, Quelle) auf der Oberseite der Tonbox erfolgen. Beleuchtete Symbole zeigen die ausgewählte Quelle und den Lautstärkepegel an. Das Panel wirkt für unseren Geschmack allerdings etwas zu modern für den Retro-Designstil des Lautsprechers. Gleiches gilt für die silberfarbene Fernbedienung (Bild nächste Seite), die man laut Handbuch vor der Nutzung mit dem Lautsprecher verbinden muss; im Test funktionierte die Steuerung aber auch ohne das Pairing. Der handliche Geber bietet neben der Quellenwahl ein Steuerkreuz für die Medienwiedergabe (Vor, Zurück, Play/Pause) und die Lautstärkeregelung.

Decoder, Video & mehr
Bei den Decodern gibt sich die L75ms recht altmodisch, denn über HDMI ARC werden ausschließlich Stereo-PCM-Signale verarbeitet. Liegen Dolby- oder DTS-Streams an, bleibt die Klangbox stumm, entsprechende Signale muss der Zuspieler ins PCM-Format wandeln. Spartanisch sieht es auch bei den Klangprogrammen aus, es gibt nur ein Sound Field Enhancement („SFX“), das ein größeres Klangfeld generieren soll. Tuning-Funktionen wie Bass- und Höhenregler sucht man vergebens, ebenso einen Equalizer oder eine Kalibrierfunktion zur Einmessung auf den Hörraum.

Auf der Rückseite findet man das Anschlussfeld: HDMI ARC, ein analoger 3,5-mm-Klinkeneingang sowie ein Subwoofer-Ausgang verkabeln zu Gerätschaften. Überraschend ist der Phono-Anschluss für Plattenspieler mit MM-Tonsystem.

Auf einem Lowboard fühlt sich das Musiksystem L75ms von JBL am wohlsten. Das Retro-Design der top verarbeiteten Box mit Walnuss-Furnier setzt auch in modern eingerichteten Wohnzimmern optische Akzente.

Tonqualität
Im Hörtest musizierte die L75ms ausgewogen ohne grobe Verfärbungen. Auch gefiel das dynamische und druckvolle Spiel, das für einen hohen Spaßfaktor sorgte. 5.1-Musik von Steely Dan via DVD-Audio (in PCM-Stereo vom Player ausgeben) tönte knackig und impulsiv. Instrumente arbeitete der JBL-Speaker gut heraus und spielte rund 2 Meter breit. Ein Pärchen Stereo-Boxen bekommt die Ortung natürlich präziser und größer hin, für die gerade mal 75 Zentimeter Breite der L75ms klingt das Gebotene aber richtig ordentlich. Gesang war sehr gut verständlich, klang realistisch und nicht nach „Lautsprecher“, was nicht allen Soundbars gelingt. Die Sprachverständlichkeit war sowohl frontal als auch aus stark seitlichen Hörwinkeln sehr gut. Unterm Strich eignet sich die L75ms hervorragend zum langen und stressfreien Musikhören.

Doch wie tönt Filmton, zumal das Deck nur in Stereo spielt? Einmal mehr rotierten diverse Dolby-Atmos-Trailer in unserem Oppo-Player. Vorne tat sich abermals eine breite Bühne mit klar ortbaren Effekten auf. Rumdum-Sound von der Seite, im Rücken oder gar von über dem Hörplatz war der L75ms hingegen nicht zu entlocken, was Punkte in der Kategorie „Film“ kostet. Das Raumklangprogramm „SFX“ verfehlte seine Funktion, denn hier mussten wir schon sehr genau hinhören, um überhaupt einen Unterschied zwischen An und Aus wahrzunehmen.

Bässe drückten dafür kräftig und voluminös, reichten allerdings nicht in den tiefsten Frequenzkeller. Vom grollenden „Powerful Bass“ im „Amaze“-Clip war jedenfalls kaum noch etwas zu hören. Wer Erdbeben-Grollen möchte, muss einen externen Subwoofer dazu stellen. Auch in „Ghost in the Shell“ konnten wir den Panzer im Finale nicht im Magen spüren, bis in mittlere Basslagen hatte die Action aber Rums und Schmackes – auch gehobene Lautstärken steckte die Box locker weg. Gut gefiel uns zudem die räumliche Differenzierung von Musik und Effekten, die direkt aus der JBL-Box aber auch losgelöst von seitlich oder hinter der Box zu hören waren.

Der Testbericht JBL L75MS (Gesamtwertung: 80, Preis/UVP: 1.500 Euro) ist in audiovision Ausgabe 11-2022 erschienen.

Der entsprechende Testbericht ist in unserem Shop als PDF-Dokument zum Download erhältlich.

AV-Fazit

80 Sehr gut

JBLs Musiksystem L75ms bietet klasse Sound und setzt auch optisch mit seinem hochwertigen wie schicken Retro-Design Akzente. Gute Streaming-Funktionen komplettieren das Paket.

Andreas Oswald

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