Denon stattet seine neuen Top-Verstärker wie den AVC-X3800H mit dem High-End-Einmess-System von Dirac aus. Klingt erst mal gut, ist aber nur die halbe Wahrheit.
Bislang gab es bei AV-Verstärkern von Denon nur das Einmess-System Audyssey – inklusive all seiner Vor- und Nachteile. Mit der neuen Generation steht jedoch eine weitere Option zur Wahl: Dirac bzw. deren Sofware „Dirac Live“ und „Dirac Bass Control“. Besagte Dirac Software-Suite dürfte für viele Heimkino-Enthusiasten keine Unbekannte sein, ist das System doch bereits in meist deutlich teureren Geräten von Arcam, Rotel oder Strom Audio im Einsatz.
Unsere Erfahrungen mit Dirac waren bisher jedenfalls positiv, so dass die Implementierung erst mal ein Grund zur Freude ist. Einen Haken bzw. zwei hat die Sache allerdings: Die Software ist nicht ab Werk integriert, sondern muss zusätzlich gekauft werden – und das für nicht gerade kleines Geld. Zudem ist „Dirac Live“ für Denon-Geräte erst im Frühling nächsten Jahres erhältlich, Anfang 2024 folgt die Erweiterung „Dirac Bass Contol“. Mehr zu den Terminen, Kosten und Versionen haben wir im entsprechenden Kasten zusammengefasst.
Die zweite große Akustik-Neuerung für den 1.700 Euro teuren AVC-X3800H: Auro 3D und Sony 360 Reality Audio. Beide Decoder gab es beim Vorgänger AVC-X3700H (Test in 11-2020) nicht, dafür war der auch 600 Euro günstiger.
Die Fernbedienung erledigt zuverlässig ihren Job: Große Tasten und die klare Aufteilung in Funktionsgruppen machen die Nutzung einfach. Zwar fehlt eine Beleuchtung, die meisten Tasten fluoreszieren aber im Dunkeln, sofern sie etwas Licht getankt haben.
Optisch aufpoliert
Die dritte Neuerung betrifft das Erscheinungsbild, denn nach dem ersten Einschalten des AVC-X3800H begrüßt den Besitzer ein merklich aufgehübschter Einrichtungsassistent, der ausführlich durch Punkte wie Lautsprechereinstellung, Kalibrierung, Netzwerk, Quellenanschluss oder die HEOS-App führt. Doch nicht nur der Assistent, auch alle sonstigen Menüs präsentieren sich in moderner Designsprache inklusive neuer Symbole, Hintergrundbilder und Menügrafiken. Auch die Auflösung wurde verbessert (Denon spricht von „HD-Qualität“), so dass das Ganze endlich auch bei 4K-Auflösung scharf und ansprechend aussieht. Das Navigieren dauert für unseren Geschmack immer noch einen Tick zu lange, was durch Auf- und Abblenden beim Sprung durch Menüs jedoch kaschiert wird und zudem elegant wirkt. Sehr lobenswert: Zu den jeweiligen Einstellmöglichkeiten erscheinen am unteren Bildrand teils ausführliche Erklärungen – so spart man sich bei Fragen oft den Blick in die Bedienungsanleitung. Ausgesprochen übersichtlich sowie nach Ton- bzw. Bildsignalen unterteilt fällt auch das Info-Menü aus, das sich ober- und unterhalb über das laufende Bild legt. Hier findet man auch praktische Grafiken zu den eingehenden Tonsignalen und den aktiven Lautsprechern. Das rechts oben aufpoppende „Option“-Menü ist ebenso schlicht gehalten und bietet die bekannten Einstellungen etwa zu den eingangsspezifischen Kanalpegeln aller aktiven Boxen, den Dialog Enhancer, Bass- und Höhenregler, Lip-Sync und neu die Option zum flotten Wechsel zwischen den beiden unabhängigen Boxen-Setps („LS-Konfig.-Preset“) des AV-Receivers.
Mehr Subwoofer-Optionen
Begibt man sich durch die einzelnen Menüs, fallen hier und da neue Funktionen auf. Besonders für große Heimkinos interessant ist die Möglichkeit für den Anschluss sowie die separate Konfiguration (Pegel, Abstand) von 4 Subwoofern; bisher waren nur 2 möglich. Eine Besonderheit bzw. Eigenart ist die Option „Subwoofer Modus / Gerichtet“. Voraussetzung hierfür ist die Platzierung von zwei, drei oder vier Krawallwürfeln nach Denon-Vorgaben im Hörraum. Dann soll die Funktion für „gerichtete“ Bässe sorgen, indem – neben dem LFE-Signal – ein Subwoofer die Bass-Signale des unmittelbar benachbarten Lautsprechers übernimmt und nicht wie üblich die Bässe aller Lautsprecher mit aktivem Bass-Crossover („kleiner“ Lautsprecher). Tönt die hintere, linke Surround-Box, werden deren Bass-Signale auch nur an den hinteren, linken Subwoofer weitergegeben statt an alle vier Bassboxen.
Ebenfalls neu ist die Option, einen Körperschallwandler („Bodyshaker“) zu steuern. Der kommt an den Subwoofer-Ausgang Nr. 4 und lässt sich separat in Pegel und Tiefpass-Filter (40 bis 250 Hertz) justieren. Apropos Regeln: Beim Equalizer des AVC-X3800H gab es kein Upgrade. So lassen sich hier noch immer keine Subwoofer justieren und die gleichzeitige Nutzung von EQ und Audyssey-Einmess-System ist nach wie vor nicht möglich.
9 Endstufen und 11.2-Kanäle
Wie sein Vorgänger besitzt der AVC-X3800H 9 Endstufen, kann dank 11.4-Pre-outs allerdings auch vollwertige 3D-Lautsprecher-Konfigurationen bedienen. Bis zu 6 Deckenboxen in verschiedenen Kombinationen sind für die Wiedergabe mit Dolby Atmos, DTS:X und Auro 3D möglich. Auch Setups, mit denen sich alle drei Ton-Decoder parallel nutzen lassen, sind dabei. Bei Nutzung von zwei externen Endstufen lassen sich diese an den Preouts für Front, Surround-Back oder vorgegebene Höhenkanäle nutzen.
Bei Denon neu in der preislichen Mittelklasse ist die Option, für einzelne Kanäle zwischen integrierten Endstufen und Pre-outs wählen zu können. Dies erfolgt im Menü „Lautsprecher-Anschluss“. Hier kann man zum Beispiel die Endstufen für die Frontkanäle und den Center physisch abschalten und stattdessen nur die Pre-outs der Kanäle nutzen. Im „Vorverstärker“-Modus werden gleich alle internen Endstufen abgeschaltet, womit der AVCX3800H als reiner Pre-Amp agiert. Dies soll die Signalklarheit erhöhen und größere Toleranzen gegenüber Clipping ermöglichen. Wer möchte, kann auch Bi-Amping betreiben und/oder eine zweite Hörzone beschallen. Auch die Nutzung von zwei Paar Frontboxen ist möglich.
Für den 3D-Sound sorgen die Decoder für Dolby Atmos, DTS:X und Auro 3D sowie deren Upmixer Dolby Surround, DTS Neural:X und Auro-Matic. Auch IMAX-Enhanced-Inhalte gibt der Receiver wieder. An Virtualisierern gibt es DTS Virtual:X und die Dolby Atmos Height Virtualization. Das Cross-Format-Upmixing mit Dolby Surround, DTS Neural:X und der Auro-Matic funktionierte im Test problemlos. Fünf DSP-Raumklangprogramme und Multi Channel Stereo komplettieren das vom Vorgänger so weit bekannte Klang-Paket. Neu ist hingegen die Unterstützung von Sonys eigenem Raumklangformat 360 Reality Audio. Die MPEG-H-Norm vom Fraunhofer-Institut beherrschte bereits der Vorgänger. Als Einmess-System kommt ab Werk wieder Audyssey MultEQ XT32 zum Einsatz. Optional wird im nächsten Jahr auch die Dirac Live Software unterstützt (siehe Kasten).
Das HDMI-Videoboard wurde aufgestockt, denn hier unterstützen nun alle 6 Eingänge den 2.1-Standard; beim Vormodell AVR-X3700H war es nur ein HDMI-Eingang. Multiple Quellen am Receiver mit Auflösungen bis zu 8K/60Hz bzw. 4K/120Hz samt HDCP 2.3, VRR und HDR (Dolby Vision, HDR10+, HDR10, Dynamic HDR und HLG) sind daher kein Problem mehr. Möglich ist auch ein 8K-Upscaling, der manuelle Video-Equalizer und die 6 vorgefertigten Bild-Presets (zwei davon nach ISF-Norm) sind allerdings dem Rotstift zum Opfer gefallen. Multiroom und Streaming übernimmt wie bei Denon üblich das HEOS-System, alles hierzu finden Sie im entsprechenden Kasten.
Wie der Tabelle unten zu entnehmen ist, sollen die ersten beiden Software-Pakete im Frühling 2023 erhältlich sein. Hier kann man zwischen einer Version mit eingeschränkter Frequenzgang-Korrektur (20 bis 500 Hz) für 259 Euro und der Vollversion mit kompletter Frequenzgang-Korrektur (20 Hz bis 20 kHz) für 349 Euro wählen. Ein Upgrade von „limitiert“ zu „voll“ ist zwar stets möglich (100 Euro), unabhängig vom Preis halten wir die Vollversion aber für die sinnvollere Anschaffung.
Voraussichtlich Anfang 2024 wird auch „Bass Control“ erhältlich sein. Das Erweiterungspaket soll Basslöcher ausbügeln und damit im gesamten Hörbereich für einen gleichmäßigen Tiefton sorgen. Dazu gehört auch die Optimierung der Übergänge (Crossover) zwischen Subwoofer und den restlichen Lautsprechern. Die Software wird für einen einzelnen (349 Euro, inklusive Upgradeoption) oder mehrere Subwoofer (499) Euro angeboten. Wer sowohl „Dirac Live“ als auch „Bass Control“ zusammen kaufen möchte, für den gibt es vergünstigte Komplettpakete, wobei das Ganze dann mit bis zu 799 Euro bereits so viel kostet wie ein kompletter AV-Receiver der Einsteigerklasse.
Tonqualität
Bei den Messungen lieferte der AVC-X3800H sogar etwas mehr Leistung als der Vorgänger. Satte 190 (4 Ohm) bzw. 169 (6 Ohm) Watt pro Kanal und damit 3 respektive 24 Watt mehr als der AVC-X3700H. Mit 113 (4 Ohm) und 103 Watt (6 Ohm) pro Kanal im 5-Kanal-Betrieb legte der AVC-X3800H die Messlatte ebenfalls um 7 bzw. 10 Watt höher. Noch ordentliche 80 Watt pro Kanal waren es im 7-Kanal-Modus an 6-Ohm-Last und damit 4 Watt pro Kanal mehr als beim AVC-X3700H. Der durchschnittliche Stromverbrauch lag bei 331 Watt, im Eco-Modus sank der Verbrauch auf gute 143 Watt.
Die Einmessung klappte wie bei Denon üblich ohne Störungen und lieferte plausible Ergebnisse. Unsere hinteren Kompaktboxen stehen relativ wandnah und werden daher von vielen AV-Receivern als groß erkannt – so auch diesmal. Im Boxen-Menü kann man das aber manuell korrigieren. Mit aktivem Audyssey gab der AVC-X3800H eine sehr klare, kontrollierte, und zudem ausgesprochen räumliche Vorstellung ab. Der 5.1-Mix auf Steely Dans Album „Two against nature“ groovte mit Elan und Druck, dabei blieb alles übersichtlich und bot eine feine Hochtonauflösung.
Der AVC-X3800H kann mehrkanalige Inhalte auf ein 2-Kanal-Signal heruntermischen und an eine andere Zone oder ein anderes HEOS-Built-in-Gerät weitergeben. Damit lässt sich Dolby Atmos im Wohnzimmer hören, während man im Schlafzimmer zum Beispiel auf einem Denon Home-Speaker ein 2-Kanal-Downmix der gleichen Quellen genießen kann.
Gesteuert wird alles mit der kostenlosen HEOS-App über Smartphone und Tablet. Mit Alexa von Amazon, Google Assistant und Siri von Apple ist zudem eine Sprachsteuerung von Musikwiedergabe und AV-Verstärker möglich, allerdings wird hierfür ein kompatibler Smart-Speaker benötigt.
HEOS unterstützt Streaming-Dienste wie Spotify und Spotify Free, Napster, Amazon Music (HD), TuneIn, Deezer, SoundCloud und TIDAL. Auch das einfache Zuspielen von lokaler Musik auf Tablets, Smartphones, Servern oder USB-Geräten ist möglich. Via AirPlay 2 lassen sich Songs von Apple Music kabellos zum AV-Receiver streamen; außerdem erlaubt es die Gruppierung mit anderen AirPlay2-kompatiblen Geräten. Das Musik-Streaming kann natürlich auch über Bluetooth erfolgen, zudem sendet der AV-Verstärker auch Bluetooth-Signale aus, etwa an kompatible Lautsprecher und parallel auch an einen Bluetooth-Kopfhörer.
Der AVC-X3800H verfügt über eine „Roon Tested“-Zertifizierung und eignet sich damit für das Zusammenspiel mit dem Music-Server-System „Roon“.
Bei Atmos-Material von der Dolby-Demo-Disc überzeugte der Denon mit sehr präzisen im Hörraum platzierten Effekten, die jederzeit klar ortbar waren, und das auch auf den vier Höhenboxen. So schallten die Synthesizer in „Audiosphere“ direktional über dem Kopf. Ambient-Effekte wie in „Amaze“ oder „Horizon“ konnten mit einer weiträumigen, luftigen Darbietung ebenso gefallen. Zu bestmöglichem Surround- bzw. 3D-Sound fehlen dem Denon für sich allein gestellt aufgrund seiner 9 integrierten Endstufen ein Paar Rear-Boxen (5.1.4.) oder ein Paar Höhenboxen (7.1.2.), was Punkte kostet. Denn zwei Boxen weniger resultieren in weniger Präzision und Räumlichkeit. Der „Powerfull Bass“ im Atmos-Clip „Amaze“ machte kräftig Druck, ohne es dabei zu übertreiben oder gar unseren Subwoofer verzerren zu lassen. Mangels Anzahl konnte wir die „gerichteten“ Subwoofer-Layouts mit multiplen Basswürfeln leider nicht ausprobieren. Über fehlenden Druck konnten wir uns allerdings nicht beschweren, die dicken Bässe des Panzers im Finale von „Ghost in the Shell“ sorgen für viel Realismus.
Stereo-Musik hörten wir wie immer zuerst im „Pure Direct“-Modus für die reinste Klangwiedergabe. Hier überzeugte der Japaner mit klaren Höhen und feiner Auflösung sowie guter Ortung. Crispe Aufnahmen entlarvte der Amp auch als solche und zeichnete sie nicht schön. Mit Audyssey-Automatik klang es dann etwas runder, druckvoller und damit angenehmer.
Der Testbericht Denon AVC-X3800H (Gesamtwertung: 84, Preis/UVP: 1.700 Euro) ist in audiovision Ausgabe 12-2022 erschienen.
Der entsprechende Testbericht ist in unserem Shop als PDF-Dokument zum Download erhältlich.
AV-Fazit
Gegenüber dem Vorgänger punktet der neue Denon AVC-X3800H mit schickeren Menüs, Auro 3D, mehr HDMI-2.1-Funktionalität und Dirac Live. Wie so vieles im Leben ist leider auch dieser Denon teurer geworden und Dirac kostet extra.
Andreas Oswald