Wie kaum ein anderer Hersteller treibt Pio-neer die Entwicklung von AV-Receivern voran. Anfang des Jahrtausends überraschten die Japaner mit der ersten Einmess-Automatik, 2010 mit hocheffizienten Klasse-D-Endstufen. Auch das brandneue Spitzenmodell SC-LX 88 ist randvoll mit innovativer Technik. So beherrscht der 2.600 Euro teure Bolide Dolby Atmos und die Einmess-Automatik korrigiert Laufzeit- bzw. Phasendifferenzen auf den Millimeter genau. Das Thema „Auro 3D“ steht laut Product-Manager Jürgen Timm hingegen „nicht zur Disposition“.
Ausstattung und Praxis
Das in Schwarz und Silber erhältliche Verstärker-Flaggschiff wiegt stolze 18 Kilogramm, was es seinem aufwändig verstrebten Metall-Gehäuse verdankt, das neun identische Endstufenzüge und einen riesigen Transformator beherbergt. Durch die Klappe ist die Optik aufgeräumt, Akzente setzen die sechs Zentimeter großen Räder für Quelle und Lautstärke, die sich mit angenehmem Widerstand drehen lassen. Für die 100 Euro Aufpreis gegenüber dem Vorgänger SC-LX 87 (Test in Ausgabe 10-2013) bekommt man mehr Ausstattung, wie einen Bluetooth-Empfänger, den man zuvor gesondert ordern musste. Dafür fiel die THX-Zertifizierung dem Rotstift zum Opfer. Auf Nachfrage teilte uns Product-Manager Jürgen Timm mit: „THX ist für den europäischen Raum nur noch von geringer Relevanz, wir haben daher auf eine Implementierung zugunsten anderer Merkmale verzichtet.“
Von seinem 600 Euro günstigeren Bruder SC-LX 78 hebt sich der 88er unter anderem durch mehr Anschlüsse ab: So verfügt er über einen selten anzutreffenden analogen 7.1-Eingang, der zum Beispiel für Hobbymusiker interessant sein kann. Ein rares Gut ist außerdem die USB-DAC-Funktion: Der Receiver fungiert hier als Audio-Interface, womit sich Stereo-Musik (auch im DSD-Format) in höchster Qualität vom PC in den Receiver einspeisen lässt.
Die neun in Direct-FET-Technik aufgebauten Endstufen lassen sich zu verschiedensten Lautsprecher-Konfigurationen verschalten: Das 5.1-Heim-kino ergänzt der Pioneer um vier, das 7.1-Kino um zwei Höhenkanäle. Im Unterschied zum Denon AVR-X 5200 kann man aber mittels einer externen Stereo-Endstufe kein Elf-Kanal-Setup aufbauen. Davon abgesehen begeistert der LX 88 mit umfangreichen Audio-Optionen.
Die Einmess-Automatik sorgt mit der „Full Band Phase Control“ für eine gleichmäßige Gruppenlaufzeit aller Lautsprecher, während „Phase Control+“ für einen stets optimalen Bass sorgt. Sämtliche Korrekturen wie Equalizing und Phasenkorrektur stellt sie anschaulich mit Grafiken dar (weitere Infos im Kasten oben). Wer mit der automatischen Korrektur nicht zufrieden ist, kann mit Hilfe diverser Filter manuell nachbessern: Das Equalizer-Arsenal erstreckt sich von einem 9-Band-Grafik-EQ über zwei separat justierbare 4-Band-EQs für die Subwoofer bis hin zum 3-Band-Notch-EQ samt sechsstufigem X-Curve-Filter.
Grafiken auch, welche Korrekturen angewendet werden.
Video und Multimedia
In puncto Multimedia sticht der Pioneer dank mannig-faltigen Vernetzungswegen mit Smartphones und Tablets heraus: Via AirPlay, aptX-fähigem Bluetooth, DLNA, HTC-Connect, HDMI-MHL, Spotify und WLAN unterstützt er das komplette Strea-ming-ABC. Der MHL-Port sitzt aber anders als beim Vorgänger hinten und ist deshalb schlechter zu erreichen. Der USB/DLNA-Mediaplayer besticht durch die Wiedergabe von 5.1-Musik im FLAC- und WAV-Format, beschränkt sich bei USB-Speichern aber auf das FAT32-Dateisystem. Natürlich werden auch Radiosender aus dem Internet empfangen. Video-technisch ist der Receiver mit der Entgegennahme und Skalierung von 4K-HDMI bis 60 Hertz auf dem aktuellen Stand – nur der Kopierschutzstandard HDCP 2.2 fehlt. Im Alltag lässt sich der Receiver dank seiner guten Fernbedienung und Smartphone-App bequem handhaben, wobei uns am Bildschirmmenü die verzögerte Reaktion stört.
Tonqualität Surround
Im Messlabor legt der Pioneer eine Rekordleistung hin, mit seiner maximalen Mehrkanal-Gesamtpower von rund 1.100 Watt ist er der bislang stärkste von uns gemessene AV-Verstärker. Seinen Vorgänger übertrumpft er um gute 20 Watt je Kanal. Bei gehobener Zimmerlautstärke verbraucht der SC-LX88 dank Class-D-Technik dennoch nur ein Drittel vergleichbarer Verstärker – unser Stromsparer-Logo verfehlt er mit 103 Watt denkbar knapp.
Auf der Geräte-Front des Pioneer SC-LX 88 prangt unübersehbar ein „Air Studios“-Logo. Was es damit auf sich hat, teilte uns Product Manager Jürgen Timm (Foto) auf Nachfrage mit:
„Mit der Einführung unkomprimierter, digitaler Tonformate wurde immer deutlicher, dass nur die Kombination aus Raumakustik, Verstärker und Lautsprecher zu einem akustischen Ergebnis wie bei der Originalaufnahme führen würde. Wir mussten also an den Ursprung, zur Entstehung der Toninformation reisen – dort, wo es gespielt, aufgenommen und abgemischt wurde. Die Profis der legendären Londoner Air-Studios gehören zu den renommiertesten Toningenieuren der Welt. Sie waren von unserer Idee begeistert, Produkte gemeinsam zu entwickeln, die den akustischen Ansprüchen von Profis entsprechen. So entstanden Ende der 90er-Jahre zunächst die Idee zur Einmess-Automatik MCACC und seit 2000 auch viele ausgezeichnete Produkte wie die Verstärker VSA-AX10 und der Susano, aber auch audiophile Blu-ray-Spieler wie der BDP-LX91. In der Praxis bedeutet dies aufwändige Hörvergleiche im Prototypen-Stadium direkt vor Ort in London. Hier bieten sich ideale akustische Voraussetzungen: Wir hören Studio-Master gemeinsam mit dem Tonmeister und nähern unsere Prototypen immer mehr diesem Original an. Dabei kommt unseren erfahrenen japanischen Ingenieuren vor Ort eine besondere Rolle zu. Sie müssen die akustischen Erfahrungen sowie die beschriebenen Kritikpunkte in Änderungen am technischen Produkt-design umsetzen und diese implementieren. Für diesen Prozess benötigen wir stets mehrere Tage. Das Logo der Air-Studios dürfen nur Produkte tragen, die so exakt „true to the studio master“ spielen, dass sie von den Tontechnikern im täglichen Arbeitsprozess auch als Abhörmonitore verwendet werden können.“
Im Hörtest setzt der Receiver sein Leistungsplus in brachiale Dynamik um: Wenn im Vorspann von „Godzilla“ (2014) eine Atombombe explodiert, setzen quasi nur die Lautsprecher (und die Geduld der Mitbewohner) dem Bass-Vergnügen eine Grenze. Abseits solcher Bombastszenen schlägt sich der Pioneer auch als kultivierter Musiker hervorragend. Nur wenige Receiver geben die Dolby-Bühnentonspur der Konzert-DVD „Live – Away From The Sun“ von 3 Doors Down so klangstark wieder. Die automatische Phasenkorrektur behebt Bass-Mastering-Fehler der Disc in gewissen Grenzen und sorgt somit bei allen Scheiben für einen druckvollen, sauberen Bass. Der Mittel/Hochtonbereich präsentiert sich bei dem direkt abgemischten Rockkonzert mit der gebotenen Präsenz, aber dennoch bleibt der Sound stets luftig und entspannt. Bei gehobenen Pegeln zeigt der Verstärker keine Spur von harschen oder gestressten Klangfarben.
Im zweiten Durchgang durfte der Pioneer sein Können mit einem Aktiv-Subwoofer und der Einmess-Automatik zeigen. Wir empfehlen bei Pioneer wie immer die Einmess-Variante „Auto MCACC“, die zwar länger dauert als die „Voll Auto MCACC“, dafür aber drei Klangkurven bietet, die uns alle drei je nach Musikmaterial durch einen natürlichen Klang überzeugten. „Symmetry“ und „All Ch Adjust“ lieferten ein warmes und kräftiges Klangbild, während „Front Align“ besonders den Center so anpasst, dass er optimal mit den unbehandelten Frontboxen harmoniert. Bei zugeschalteter „Full Band Phase Control“ gewann das Klangbild spürbar an Transparenz, ohne dass sich der Klang tonal ändert. Daher bevorzugten wir stets den Klang-modus „Direct“ statt „Pure Direct“, der zusätzlich auf die DSP-Korrektur verzichtet.
Tonqualität Stereo
Die Vorzüge der „Full Band Phase Control“ äußern sich auch bei klassischer Stereo-Musik in einem präzisen, luftigen Klang – egal ob über HDMI oder den optischen Eingang zugespielt. Das i-Tüpfelchen ist der umschaltbare Wandler, der seine Klasse vor allem gut bei der CD-Wiedergabe zeigt: Je nach Einstellung erklingt etwa die Snare im Morcheeba-Stück „Love-Show“ mal grooviger (Slow, Hi-Bit aus), oder der Gesang hauchiger (Sharp/Hi Bit an). (fg)
Der Testbericht Pioneer SC-LX 88 (Gesamtwertung: 94, Preis/UVP: 2600 Euro) ist in audiovision Ausgabe 12-2014 erschienen.
Der entsprechende Testbericht ist in unserem Shop als PDF-Dokument zum Download erhältlich.
AV-Fazit
Pioneers neues Receiver-Flaggschiff begeistert mit Rekord-Leistung, sauberem Klang sowie erstklassiger Ausstattung – und spielt sich locker in unsere Referenz-Klasse. Über Schönheitsfehler wie die verlorene THX-Zertifizierung und die eingeschränkte Aufrüstmöglichkeit mit externen Endstufen sehen wir da gerne hinweg.