Canton hat seine Vento-Serie einer umfangreichen Bearbeitung verpasst. Das Ergebnis wollten wir uns natürlich anhören.
Abseits seiner „No Compromise“- Serie Reference-K hat der hessische Lautsprecher-Hersteller stets darauf geachtet, dass seine Lautsprecher auch für Otto Normalverbraucher nicht unerreichbar teuer werden. Das gilt auch für die aktuelle Vento-Baureihe (Vento ist italienisch und bedeutet „Wind“), traditionsgemäß die Top-Linie unterhalb Reference K, deren von uns getestete 5.1-Ausführung mit 7.100 Euro zu Buche schlägt. Verglichen mit der Vorgänger-Version, die wir uns vor zwei Jahren angehört haben, ließ das Team um Entwicklungschef Frank Göbl viel neue und hochwertige Technik in die neuen Ventos einfließen.
Technik
Das gilt insbesondere für die Tief- und Mitteltöner, namentlich das Material, aus dem deren Membranen hergestellt sind: Canton verwendet hier erstmals ein Titan-Graphit-Komposit, das durch ein extrem ausgewogenes Verhältnis von Steifigkeit, innerer Dämpfung und Gewicht dafür sorgen soll, dass die Membranen bis weit über ihren Nutzfrequenzbereich hinaus keine Resonanzen aufweisen und nicht in Partialschwingungen aufbrechen.
Das sorgt nicht nur für einen linearen Frequenzgang, sondern auch – mindestens ebenso wichtig – für ein kontrolliertes wie gleichmäßiges Rundstrahlverhalten im gesamten Übertragungsbereich. Bei den Mitteltönern der Standboxen Vento 80 und den Tiefmitteltönern des Centers Vento 50 und der Surrounds Vento 20 treibt die Schwingspule die Membran direkt an, erkennbar an den konkav ausgeführten Staubschutzkalotten. Die jeweils zwei Basstreiber der Vento 80 statteten die Entwickler hingegen mit Vollkonus-Membranen ohne Staubschutzkalotte aus. Um ihre Stabilität auch bei großen Hüben sicherzustellen, klebt Canton hier noch eine weitere Membran von hinten auf, an der dann die Schwingspule befestigt ist. „Double Cone“ nennt der Hersteller diese Bauweise.
Zudem gaben die Entwickler allen Tief- und Tiefmitteltönern der Ventos die so genannte Wave-Sicke mit auf den Weg. Deren Querschnitt ist nicht, wie bei den meisten anderen Chassis, schlicht halbkreisförmig, sondern erinnert an eine Sinuskurve. Durch die mehrfache kleinteilige Wölbung der Sicke verteilen sich die Bewegungskräfte gleichmäßiger und weisen, wie entsprechende Simulationen und Messungen ergeben haben, auch eine bessere Symmetrie auf als bei herkömmlichen Sicken.
Wem das bekannt vorkommt, der hat sicher schon einmal einen Tieftöner für PA-Zwecke gesehen, bei denen die Sicken aus genau den gleichen Gründen ähnlich geformt sind. Allerdings haben deren Entwickler es hier etwas einfacher, denn sie dürfen diese Bauteile deutlich steifer auslegen, als es bei Hifi – und Heimkino-Lautsprechern angebracht wäre. Die müssen schließlich eine möglichst niedrige Grenzfrequenz aufweisen, während sich Profi-Gesangsboxen trotz 30-Zentimeter-Tieftöner mit 80 Hertz und mehr zufriedengeben.
Beim Vento-Center ist das etwas anders, denn hier arbeitet nur einer der beiden Tieftöner bis zur Übernahmefrequenz des Hochtöners, nämlich 3 Kilohertz, hinauf. Der andere Treiber ist ausschließlich für den Bassbereich zuständig und verabschiedet sich schon bei 300 Hertz. Also treten hier nur zu einer Seite hin die erwähnten Einbrüche unter größeren Winkeln auf, zur anderen Seite hin ist das Rundstrahlverhalten viel ausgeglichener.
Technik-Transfer
Geradewegs aus Cantons Reference-K-Serie stammt die Hochton-Technologie der neuen Ventos: Deren Kalottenmembranen bestehen aus Aluminium, das mit Hilfe eines ausgesprochen aufwändigen Elektrolyseverfahrens zu steifem und hartem Aluminiumoxid, einer Keramik umgewandelt wird. Dieses Material ist auch als Korund bekannt und fast so hart wie ein Diamant. Zudem leitet es Wärme vergleichsweise gut, immer wichtig für Hochtöner, deren Schwingspule für eine hohe Belastbarkeit auf eine zuverlässige Wärmeabfuhr angewiesen sind. Cantons Kalotte ist kein einfacher Kugelabschnitt, ihre Form wurde davon abweichend mit Hilfe von Simulationsprogrammen – die Canton bei der gesamten Entwicklung intensiv nutzt – auf möglichst geringe Resonanzen und einen möglichst weit zu hohen Frequenzen reichenden Frequenzgang optimiert. Um den Antrieb möglichst effektiv zu gestalten, fällt der Luftspalt des Magnetsystems besonders eng aus und sorgt so für hohe Feldstärken. Nicht zuletzt widmete das Entwicklerteam dem Einbaufl ansch des Treibers besondere Aufmerksamkeit: Der, vom Hersteller Transmission Front Plate genannt, wurde als Waveguide gestaltet, seine Form wiederum durch den Einsatz von Simulationssoftware optimiert. Es vergrößert einerseits den Wirkungsgrad unterhalb von 10 Kilohertz merklich und sorgt andererseits für ein kontrolliertes Rundstrahlverhalten im Übernahmebereich zum Tiefmittel- oder Mitteltöner. Für eine saubere Abstrahlung höchster Frequenzen bekam die Keramikkalotte zudem einen Phasenkontrollring vorgesetzt, der innen an dem feinen Schutzgitter befestigt ist.
Einigen Gehirnschmalz widmeten die Entwickler auch den Gehäusen, in denen die hochwertige Technik untergebracht werden sollte: Die gewölbten Seitenflächen der Vorgänger behielten sie bei, machten die Wölbung jedoch stärker, so dass die Tieftöner ein größeres Innenvolumen zur Verfügung haben. Alle Vento-Standboxen bringen einen mit Abstand montierten Sockel mit, der etwas größer ausfällt und dessen Seiten nach Innen geneigt sind. So soll die Optik der Boxen „schwebender“ wirken. Durch den Schlitz über den Sockel strahlt die im Gehäuseboden integrierte Bassreflexöffnung.
Perfekt in dieses neue Design passt sich der zugehörige Subwoofer Vento Sub 12 mit seinen ebenfalls gewölbten Seitenwänden und dem mit Abstand montierten Sockel ein. In seinem Boden sitzt statt eines Bassreflexrohres eine ausgewachsene Passivmembran, die mit 30 Zentimeter Durchmesser genauso groß ist wie das aktiv angetriebene Chassis auf der Vorderseite. Seine Membran, deren Wave-Sicke für große lineare Hubfähigkeit sorgt, besteht ebenfalls aus mit Graphit versetztem Titan. Zur Justage stellt er nach alter Väter Sitte Regler für Trennfrequenz, Pegel und Phase bereit, eine Fernbedienung bringt er leider nicht mit.
Tonqualität Surround
Dafür allerdings einen Schaltverstärker mit auf den ersten Blick etwas mageren 250 Watt Nennleistung. Seine 107 Dezibel Maximalschalldruck strafen den ersten Eindruck aber deutlich Lügen. Überzeugend auch seine untere Grenzfrequenz von 25 Hertz. Darunter fallen seine Frequenzgänge dann steil ab, ein Hinweis auf ein integriertes Hochpassfilter, das Verstärker und Treiber vor Überlastung schützen soll.
Die Frequenzgänge der Canton-Boxen verlaufen lobenswert linear und ohne nennenswerte Welligkeiten. Der Center strahlt etwas unsymmetrisch ab, zu einer Seite gibt´s einen schmalen, aber tiefen Einbruch bei zwei Kilohertz unter großen Winkeln.
Das Vento-Set überzeugt zum Glück nicht nur durch gute Messwerte, sondern auch durch seinen Klang: Es spielte im Hörraum auf Anhieb locker, frei und temperamentvoll auf und zog die Tester dadurch sofort in seinen Bann. Faszinierend dabei: Gleichgültig, welches Material das Set vorgesetzt bekommt, es überzeugt immer mit Dynamik, Luftigkeit und unbedingter Ehrlichkeit, ohne ins Über-Analytische und somit Nervige abzugleiten. Das macht schon großen Spaß mit „Listen Up!“, der live im Studio eingespielten Nummer von Drummer Omar Hakim und seiner Truppe aus Studio-Cracks. Die Cantons präsentieren die genial-transparente Abmischung mit überzeugendem Echtheitsfaktor, man fühlt sich tatsächlich mitten in der Band, die Musiker stehen (oder sitzen) um den Hörplatz herum mit plastischer, fokussierter Raumabbildung.
Aus diesem Grund setzt Canton bei der Vento-Serie neue Terminals ein, die nicht nur über eine sehr große Kontaktfläche verfügen. Die Terminal-Schraubelemente sind zudem mit einem Feingewinde versehen, das sie pro Umdrehung erheblich weniger Weg zurücklegen lässt als ein Normalgewinde. So ist eine merklich bessere Kontrolle über die Klemmung – die ja vom Anwender mit der Hand durchgeführt wird – möglich. Zudem ist die Wahrscheinlichkeit, dass sich eine Schraube losvibriert, bei einem Feingewinde geringer.
Faszinierend auch die Wiedergabe von Gesangsstimmen: Jane Monheit klingt bei ihrem „They Can´t Take That Away from Me“ überaus natürlich und dabei locker und penibel aufgelöst, die feinen Nuancen ihrer Stimme bringt das Set mühelos und dabei angenehm entspannt zu Gehör.
Die Cantons können es aber auch richtig krachen lassen und sind dank ihres temperamentvollen Auftritts geradezu prädestiniert für großes Action-Kino á la „Terminator – Die Erlösung“. Egal, ob dort der Tankwagen explodiert oder die futuristischen Motorräder in die Autowracks krachen, die Ventos quittieren das immer mit einem höchst befriedigenden Rumms, der auch vor den Magenwänden nicht haltmacht. Immer wieder ein Spaß: Wenn bei „Ratatouille“ Remy und sein Kumpel auf dem Dach vom Blitz getroffen werden, schreckt mit den Cantons auch der abgebrühteste Tester immer wieder zusammen, der Schlag geht wirklich durch Mark und Bein. Und dann geradewegs in die Gesichtsmuskeln, denn er zaubert auch nach der x-ten Wiederholung immer noch ein breites Grinsen auf die Gesichter.
Tonqualität Stereo
Der tolle Mehrkanal-Klang motivierte uns, mal wieder ältere Scheiben aus dem Stereo-Archiv zu graben. Fündig wurden wir bei der schwedischen Truppe Sonic Station, die 2014 mit „Next Stop“ ein tolles Album mit hervorragendem Sound vorstellte und deren Song „Amelia“ sogar international immer mal wieder im Radio zu hören war. Die Vento 80 brachten die transparent und sauber produzierte Rockmusik in der Tradition von Toto mit Wucht, Dynamik und äußerst glaubwürdig. Die Stimme des charismatischen Frontmanns Johan Boding steht wie festgenagelt im Zentrum, Gitarre, Bass, Keyboard und Background-Gesang sortieren sich fein säuberlich um ihn herum. Sollte man mal wieder öfter hören, vor allem über die Cantons.
Der Testbericht Canton Vento-Set (Gesamtwertung: 91, Preis/UVP: 7100 Euro) ist in audiovision Ausgabe 12-2022 erschienen.
Der entsprechende Testbericht ist in unserem Shop als PDF-Dokument zum Download erhältlich.
AV-Fazit
Alles anders als ein laues Lüftchen darf man vom neuen Vento-Set erwarten. Es spielt ausgesprochen dynamisch und bleibt dabei äußerst sauber. Zudem überzeugt es mit einer unkomplizierten Neutralität, die das Beste aus allem herausholt, was man ihm anbietet. Keine Frage, das Set ist jeden seiner 7.000 Euro wert.
Michael Nothnagel